8. Oktober 2021

Suburbanisierung ... und immer noch kein Ende in Sicht?

Im Jahr 2008 stellte ein Artikel in den Informationen zur Raumentwicklung (IzR) die Frage Suburbanisierung … und kein Ende in Sicht? 1 Im Jahr 2021 kann diese Frage genau so immer noch gestellt werden, wenn auch vor dem Hintergrund einer gänzlich anderen Wohnungsmarktsituation als vor 13 Jahren. Damals stand das Thema Schrumpfung im Vordergrund, heute stehen dagegen die Wachstumsschmerzen der Städte im Fokus.

Während als eine Folge der Corona Pandemie die Wanderungen zwischen Deutschland und dem Ausland zumindest temporär eingebrochen sind, hält die Suburbanisierung in fast allen Großstädten mit angespannten Wohnungsmärkten weiterhin an. Und es sind sogar noch mehr Städte dazugekommen. Die nun vorliegenden Kreisdaten für 2020 nehmen wir zum Anlass, einige Trends in den Wanderungsdaten näher zu betrachten.

Für 2020 liegen derzeit noch keine Kreis-zu-Kreis-Daten vor, so dass die Umlandwanderungen der Metropolen noch nicht statistisch im Detail ausgewertet werden können. Für eine erste Einordnung fasst die folgende Karte die innerdeutschen Wanderungssalden (d.h. ohne Auslandswanderung) je 1.000 Einwohner auf der Kreisebene zusammen und stellt hier die Zeiträume 2012-2014, 2015-2017 und 2018-2020 gegenüber. Während der mittlere Zeitraum vor allem durch den starken Anstieg der Auslandszuwanderung und der daraus folgenden Umzüge in Deutschland überprägt ist, macht der Vergleich der Zeiträume 2012-2014 und 2018-2020 deutlich, dass sich hier strukturell etwas verändert hat.

In den Jahren 2012 bis 2014 hatten 43 der 107 kreisfreien Städte im Durchschnitt der Jahre ein negatives Wanderungssaldo, 2018 bis 2020 war das Wanderungssaldo in 73 kreisfreien Städten negativ. Umgekehrt gilt bei den 294 Landkreisen, dass die Zahl der Kreise mit einem positiven Wanderungssaldo von 169 in den Jahren 2012 bis 2014 auf 233 in den Jahren 2018-2020 gestiegen ist. Auch die Kollegen von der empirica stellten im Frühjahrsgutachten der Immobilienwirtschaft fest, dass mittlerweile nicht nur das direkte Umland der Metropolen durch Zuwanderung gewinnt, sondern auch Landkreise in einer Entfernung von 1 bis 1,5 Stunden Fahrzeit.2

Diese Veränderung wird in der Karte an den Beispiel Stuttgart und München deutlich sichtbar. Während die größten Wanderungsgewinne im Umland mittlerweile im zweiten Ring (2018-2020) statt im ersten Ring (2012-2014) erzielt werden, fallen die innerdeutschen Wanderungssalden im ersten Ring z.T. sogar negativ aus.

Eine weitere, wesentliche Veränderung zeigt sich in vielen ländlich geprägten Regionen, z.B. im nördlichen Hessen, in Rheinland-Pfalz, im Schwarzwald oder in vielen Regionen im Osten. Diese Regionen profitierten im letzten dargestellten Zeitraum von der innerdeutschen Wanderung, haben 2012 bis 2014 aber noch Verluste verzeichnet. Von diesem Trend profitieren aber nicht alle ländlichen Regionen gleichermaßen. Beispielsweise der Harz oder Südwestfalen und Teile Ostdeutschlands bleiben weiterhin Abwanderungsregionen.

Entwicklung in den Top 7

Aus der Gruppe der Top 7 verbleibt nur Hamburg mit einem positiven Wanderungssaldo im Jahr 2020, denn nur in Hamburg ist das Saldo mit dem Ausland im Jahr 2020 ggü. 2019 gestiegen. Düsseldorf verzeichnete dagegen einen starken Rückgang der Zuzüge aus dem Ausland (von +16.500 in 2019 auf +11.800 in 2020). Im Ergebnis ist das Wanderungssaldo erstmals seit 1998 negativ. Auch in Köln haben sich die Zuzüge aus den Ausland 2020 ggü. 2019 um etwa ein Drittel reduziert (von +22.000 auf +14.500), aber auch aus Deutschland ziehen etwas weniger Menschen zu (von +40.000 auf +36.600). Bezogen auf die Wanderungen verliert Köln somit an Bevölkerung.

In der Bankenmetropole Frankfurt am Main ist die Zuwanderung 2020 genauso deutlich eingebrochen (nur +55.500 statt +66.400 im Vorjahr), vor allem auch die Zuwanderung aus dem Ausland (+20.400 statt +30.100). Die Abwanderung ist ebenfalls gesunken, wenn auch nicht so stark. Im Wanderungssaldo schrumpft nun auch Frankfurt. Das Bild wiederholt sich ebenso in Stuttgart, auch hier hat das Coronajahr 2020 als Trendverstärker gewirkt und das Wanderungssaldo ins Minus gedrückt. Die Entwicklung hat sich in den Vorjahren bereits abgezeichnet, aber 2020 ist die Zuwanderung noch einmal rund 18% niedriger ausgefallen als 2019. Diese Entwicklung macht auch vor München nicht halt, die Zuzüge nach München sind stärker eingebrochen als die Fortzüge von München und das Saldo fällt entsprechend negativ aus.

Die letzte Stadt aus der Reihe der Top 7 ist Berlin. Die Zuwanderung aus dem Ausland ist 2020 sogar um rund ein Viertel eingebrochen, aus Deutschland um etwa 16%. Statt bei +23.200 in 2019 liegt das Wanderungssaldo 2020 bei -2.000.

Die im Text dargestellten Bandbreiten beziehen sich jeweils auf das absolute Wanderungssaldo, um die Größenordnung der jeweiligen Veränderungen von 2020 gegenüber 2019 zu verdeutlichen. Im die Städte miteinander besser vergleichen zu können, fasst die folgende Grafik als inheitlichen Indikator je 1.000 Einwohner zusammen. Die Trendumkehr in diesen Städten ist anhand der in schwarz dargestellten Linie für das Gesamtwanderungssaldo deutlich sichtbar.

Quelle: empirica regio (eigene Berechnung; Basis: Statistische Ämter des Bundes und der Länder, Deutschland, 2018-2021, dl-de/by-2-0 )

Fazit

Die im Zusammenhang mit Corona oft diskutierte These der Trendverstärkung für die Suburbanisierung kann anhand der Wanderungsdaten von 2020 gestützt werden. Die Betonung liegt hier aber auf Trendverstärkung, da die Wanderungen auch in den Vorjahren schon eine stärkere Suburbanisierung sowie höhere Wanderungsgewinne auch in einigen ländlichen Regionen zeigen. Der größte Unterschied zwischen 2020 und den Vorjahren ist aber die reduzierte Zuwanderung in die Kernstädte. Hier muss sich noch zeigen, wie es hier in der Post-Corona-Zeit weitergeht. Solange insbesondere die Kaufpreise in den Metropolen weiterhin so stark steigen, ist aber auch mit einer anhaltenden hohen Suburbanisierungsrate zu rechnen, im Fall von München, Stuttgart oder Frankfurt am Main vor allem auch in den zweiten Ring mit entsprechenden Folgen für das Verkehrsaufkommen und den Baulandbedarf in diesen Regionen. Vor diesem Hintergrund müssen dann auch die aktuellen Diskussionen um Energie- und Verkehrswende, Digitalisierung, Homeoffice, Erschwinglichkeit von Wohnraum oder auch Flächenversiegelung geführt werden.

Der Eingangs zitierte Artikel aus dem Jahr 2008 zeigt anhand von Wanderungsmotivbefragungen, dass viele Suburbaniten gerne in der Stadt geblieben wären, aber Ihre Wohnpräferenzen hier nicht realisieren konnten. Das gilt sicherlich auch heute noch, wobei vor allem das zu geringe Wohnungsangebot, insbesondere für Familien und Haushalte mit geringerem Einkommen, und zu hohe Wohnkosten als Faktor für die Abwanderung in das Umland genannt würden.

Datengrundlagen

Die amtliche Wanderungsstatistik kann sowohl differenziert nach Alter als auch nach Ziel- und Herkunftsregion ausgewertet werden. Die Wanderungszahlen werden in der empirica Regionaldatenbank  nicht nur differenziert nach Alter, sondern auch zusammengefasst für das jeweilige Umland, das übrige Deutschland und das Ausland bereitgestellt. Auch die Wanderungen zwischen einzelnen Kreisen können differenziert ausgewertet werden. Aufgrund methodischer und datenschutzrechtlicher Umstellungen beim Statistischen Bundesamt stehen derzeit einzelne Wanderungszahlen der letzten Jahre nur eingeschränkt zur Verfügung, so dass beispielsweise die Zu- und Fortzüge für unsere aggregierten Regionen (hier die Top 7 insgesamt) nicht berechnet werden können. Wanderungssalden liegen aber von 2005 bis 2020 durchgängig als Datengrundlage vor und andere Zeitreihen werden aktualisiert, sobald neue Daten verfügbar sind.

Die empirica Regionaldatenbank wird laufend aktualisiert und bietet eine breite, verlässliche Datenbasis für unterschiedliche Fragestellungen. Methodische Änderungen bei den Datengrundlagen werden homogenisiert, alle Daten sind im Zeitverlauf und regional vergleichbar. Die Wanderungsdaten sind in allen Lizenzmodellen  enthalten genauso wie viele andere Daten zur Analyse demografischer Strukturen.

  1. Hirschle, Michaela; Schürt, Alexander (2008), Suburbanisierung … und kein Ende in Sicht? Intraregionale Wanderungen und Wohnungsmärkte . Informationen zur Raumentwicklung, Heft 3/4, 2008. ↩︎

  2. Simons, Harald; Tielkes, Constantin; Scharrenberg, Malte (2021), Frühjahrsgutachten Wohnimmobilien in ländlichen Räumen 2021 . ZIA Zentraler Immobilien Ausschuss e.V. (Herausgeber): Frühjahrsgutachten Immobilienwirtschaft 2021 des Rates der Immobilienweisen, S. 209-229. ↩︎